„Damit eröffnet die Mode individuelle Freiräume, die dem faschistischen Selbstverständnis widersprechen, und liefert so das Motiv für Strategien zum politischen Modediktat wie auch den Grund für dessen scheitern.“ (Sultano 1995: 9)
Frühe 1940er Jahre, NS-Regime. Eine Ideologie, in der Individualität, Unkonformität und Abweichung verpönt, alles „Ausländische“ und Ausschweifende verboten ist – erotische Lebensfreude gar, gilt als „entartet“. Mensch hat sich einzugliedern, all seine Kapazitäten dem Kampf zur Verfügung zu stellen. Unterordnung, Gehorsam und Disziplin sind Werte die zählen, erzielt über Drill und Gleichschaltung. Um liberalistisches Eigenleben und subjektiven Geschmack zu untergraben, werden in totalitärer Tradition alle Bereiche der Alltagskultur korrumpiert. Vereinnahmt werden nicht nur Architektur, Kunst und Bildsprache jeglicher Art, sondern auch die Mode, welche seit jeher von gesellschaftlichen Normen und Konventionen geprägt ist und nie ohne Wirkung bleibt. Äußerliche Attribute haben dem System zu entsprechen, Gewandung wird zum Herrschaftsinstrument: Schlicht und ökonomisch hat sie zu sein, entsprechend dem asketischen Ideal. Frauen und Mädchen: Bieder mit Zöpfchenfrisur, gesund und bodenständig, nicht zu dünn um Gebärfähigkeit auszustrahlen, rosabackig jedoch ungeschminkt, mit kurzem Rock (um Stoff zu sparen – jedoch weiblich zurückhaltend, versteht sich) und keuscher Bluse oder Uniform der jeweilig zugehörigen Organisation[1]; Männer und Burschen: Stolz und heroisch, Kurzhaarschnitt, auch hier: unaufdringliche, saubere Arbeitermontur oder Uniform.
Doch die Mode dient nicht nur als Strategie der Nationalsozialisten zur kontinuierlichen Entindividualisierung, sie wird auch zum Zeichen des Widerstandes, zur subversiven Waffe.
In Zeiten von Tanzverbot, Zensur und Meinungsunfreiheit gibt es eine Gruppe, die sich der alles überdeterminierenden Autorität des Systems entgegenstellt: Die Schlurfs.
Die zumeist Jugendlichen durchbrechen durch weltbürgerliches, legeres Auftreten und ihren bewusst internationalen Lebens- und Kleidungsstil, wobei sie sich an amerikanischen und englischen Vorbildern orientierten, die stereotypen Charakteristika des herrschenden nationalsozialistischen Idealbildes. Ziviler Ungehorsam. Gegen jede Konvention und gegen die Logik knapp bemessener Stoffrationierungen, gekleidet in weite, überlange doppelreihige Nadelstreif-Sakkos oder Karomuster-Jacketts mit breitem Revers und vielen Taschen sowie ebenso verschwenderisch bemessene Hosen mit breitem Schlag und hohen Stulpen, entziehen sie sich der Doktrin von Sparsamkeit auf provokante Weise. Um das penibel gebügelte und stets sauber gehaltene Beingewand vor Schmutz zu schützen, wie auch, um erneut gegen den Zwang der rationellen Verwertung zu rebellieren, waren Schuhe gern mit dicken, aufgedoppelten Sohlen versehen. Zudem werden von den Burschen Hüte mit an der Vorderseite nach unten gebogener Krempe getragen – die sogenannte „Hüsn“ (Sultano 1995: 93). Tief in die Stirn gezogen oder im Nacken sitzend, thront sie auf unschicklich lange getragenem, nach hinten pomadisiertem Haar. Weiters Reversknöpfe in verschiedenen Farben als Erkennungszeichen und Krawatten oder Halstücher in grellem Kolorit. Obligat ist auch der stets zusammengefaltete Regenschirm (in Anlehnung an den damaligen englischen Außenminister Anthony Eden wird dergestalt die pro-englische/amerikanische Haltung zum Ausdruck gebracht). Nicht Funktionalität steht bei der „Schlurfschale“ (ebd.) im Vordergrund – keinesfalls jedoch sinnentleert, sind großzügige Schnitte und unverhältnismäßige Verwendung von Ressourcen bei den dandyhaften Schlurfs als Symbole für eine Gegenkultur zum uniformierten Alltag der Hitlerjugend und gegen die aufoktroyierte Wirtschaftlichkeit zu lesen. Die Kleidung dient hier als Mittel der internen, jedoch auch der externen Kommunikation, durch sie wird Zugehörigkeit (zur Gruppe der Schlurfs) beziehungsweise Abgrenzung (etwa zur verhassten Hitlerjugend) signalisiert. Die Kleidung ist jenes Element, welches nur temporär als Erkennungszeichen gilt – permanente Komponente bleiben etwa die langen Haare. Nicht viel anders verhielt es sich bei den Mädchen, auch sie trugen das Haar lang, jedoch entgegen des vorgegebenen weiblichen Wunschbildes offen, manchmal dauergewellt. Überhaupt entsprach ihr Betragen nicht dem femininen Ideal jener Zeit, in dem Frau auf braves BDM-Mädl, Gebärmaschine und Hausmütterchen oder später Verteidigerin an der Heimatfront reduziert scheint. Elegant und mondän gibt sich die „Schlurfkatze“ (vgl. Tantner 1993:107), entgegen Goebbels´ diesbezüglicher Ermahnung auffällig geschminkt, ein Glas alkoholisches Getränk in der Hand und qualmend – die Zigarette im langen Spitz – immer bedacht auf ihr Äußeres, betont sexy und weiblich frivol, mal im übergroßen Hosenanzug, mal im sehr kurzen körperbetonten Kleid.
„Wir sind nicht Juden, sind nicht Plutokraten,
doch die Nazis müssen trotzdem weg.
Aus uns da macht man keine Soldaten,
denn unsere Hymne ist der Tiger Rag.“
Swing Liedtext (return2style)
„Meines Erachtens muß jetzt das ganze Übel radikal ausgerottet werden. Ich bin dagegen, dass [sic!] wir hier nur halbe Maßnahmen treffen. Alle Rädelsführer (…) sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. (…) Nur wenn wir brutal durchgreifen, werden wir ein gefährliches Umsichgreifen dieser anglophylen [sic!] Tendenz in einer Zeit, in der Deutschland um seine Existenz kämpft, vermeiden können.“
(Himmler am 26.1.1942, zitiert nach Lichte o.J.)
Anfänglich weitgehend unpolitisch – die Repressionswelle ab 1941 bedingte partiell eine Veränderung und Radikalisierung dieser Haltung[2], – stehen die Schlurfs für autonome Lebensgestaltung und eine freie Jugendkultur ohne Zwänge und Normen der NS-Herrschaft. Dieses Lebensgefühl der betont modisch gekleideten HerumtreiberInnen wird nicht nur in deren Kleidung, als Ausdrucksmittel individueller Freiheit, kundgetan, sondern es kommt auch in Sprache und Körperhaltung zur Geltung. Gewollt lässig grüßen die AnhängerInnen dieser Jugendopposition, den ‚geliebten Gruß’ bizarr verzerrt, sich mit ausgestrecktem Arm – die Finger zu einem Victory-Zeichen gespreizt, dazu salopp: „Swing Heil“. Impertinenz par excellence. In, mit Anglizismen gespickten Konversationen, rauchend, trinkend und zu „entarteter Negermusik“ „hottend“ kommt Mensch sich näher, auch sexuell. Weitergefeiert wird auf den selbstorganisierten, illegalen Partys auch bei Bombenalarm – und das in solch schwierigen Zeiten! Unsittlich! Unerhört! Untragbar! Degeneriert! Kriminell!
Also wurde verfolgt, unterstellt und verhaftet. Anklagepunkte: Unsittliches Verhalten, Prostitution, Blutschande, Wehrkraftzersetzung, Schädigung der deutschen Volkskraft, staatsfeindliche Propaganda, Hochverrat. Es folgten: Arbeitsdienst, Übergabe an die Fürsorge, Einweisung ins Gestapo-Gefängnis oder ins KZ.
Schwerwiegende Exekutionen wie etwa die Verurteilung von Schlurfs und AnhängerInnen der Swingjugend zur Todesstrafe konnten durch den Einmarsch der Alliierten 1945 verhindert werden.
Quellenverzeichnis:
Baudelaire, Charles (1863): The Dandy. In: The Painter of Modern Life.
http://www.dandyism.net/?page_id=178
Denk, Larissa / Spille, Jan (2009): Kleidsamer Protest – Medium und Moden des Protests.
In: Schönberger, Klaus / Sutter, Ove (Hg.): Kommt herunter, reit euch ein… Eine kleine Geschichte der Protestformen Sozialer Bewegungen. Berlin: assoziationA, s 211-233.
Deutsches historische Museum (o.J.): Swingjugend http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/widerstand/swing/
Deutsches historische Museum (o.J.): Bericht: Swing-Jugend. Sofort-Aktion gegen Swing-Jugend 18.August 1941.
http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/swing/index.html
Deutsches historische Museum (o.J.): NS-Frauenpolitik und NS-Frauenorganisationen.
http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/frauen/index.htm
Erbe, Günter (2004): Der moderne Dandy. In: Politik und Zeitgeschichte (B 46/2004).
http://www.bpb.de/publikationen/YEJ0WG,0,0,Der_moderne_Dandy.html#art0
Lichte, Michael (o.J.): Kids im Nazi-Regime. Widerstand Jugendlicher gegen den Nationalsozialismus
http://www.shoahproject.org/widerstand/kids/shkids3.htm
Mki (o.J.): NS-Frauenpolitik und NS-Frauenorganisationen. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/frauen/index.html
Return2style (o.J.): Die Swing-Jugend.
http://www.return2style.de/swheinis.htm
Schönberger, Klaus / Sutter, Ove (Hg.) (2009): Kommt herunter, reit euch ein… Eine kleine Geschichte der Protestformen Sozialer Bewegungen. Berlin: assoziationA.
Schroetter, Sabine (o.J.) : Swingkultur in den 30er bis 40er Jahren in Deutschland
http://www.it-must-schwing.de/de/zeitgeschichte
Sultano, Gloria (1995): Wie geistiges Kokain. Mode unterm Hakenkreuz. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.
Tantner, Anton (1993): „Schlurfs“. Annäherungen an einen subkulturellen Stil Wiener Arbeiterjugendlicher. Wien, Diplomarbeit.
http://tantner.net/publikationen/Tantner_Schlurfs_Diplomarbeit1993.pdf
Bild 1: Drei Ottakringer Schlurfs in „Schlurfschale“.
In: Sultano, Gloria (1995): Wie geistiges Kokain. Mode unterm Hakenkreuz. S 215.
Bild 2: Karikatur in den Hamburger Gaunachrichten, 1941.
http://www.return2style.de/swheinis.htm
Weitere Lied- und Flugblatttexte von Schlurfs und der Swingjugend (return3style):
Text, bezogen auf das Hamburger Durchgangs-KZ Fuhlsbüttel, unter dem Namen „Florida“ bekannt:
„Und Sonntag war’n wir in der Bauernschänke
bei einem fröhlichen Zusammensein.
Der Ober brachte verschiedene Getränke,
doch keines war vom guten alten Wein.
Er hat vielleicht mal neben Wein gelegen
und etwas Färbung abgekriegt.
Doch alle sind sie da, bis auf die in Florida.
Oh Joseph, Joseph, Steine klopfen, das ist wunderbar.“
Text über Bergedorf, eine der vier Hamburger Jugendarrestanstalten, gesungen:
„Bergedorf ist kein Zuchthaus, kein Sing-Sing,
Bergedorf ist die Festung für den Swing.
Bergedorf ist der Nazi stiller Ort,
wo sie hinbringen die Kulturträger für den altenglischen Hot.“
Hamburg: Ein Spottgedicht auf den gefürchteten „Langen Paul“, Schläger der SS-Wachmannschaft und den „Fuchs“, leitete im Gestapo-Hauptquartier die Verhöre:
„Erst bricht der Lange Paul dir alle Knochen,
dann kommst du beim Fuchs auf allen Vieren angekrochen
der macht aus dir Frikassee
aus deinem Schwanz Haschee
da pfeift dir aus dem Hinterteil
der allerletzte Furz: Swing Heil!“
Flugblatt in Schulen in Winterhude verteilt:
„Der Boy, das Girl, sie lieben Hot
Und meiden die Meute stupider HJ.
Geh’n sie spazieren auf leisestem Krepp,
Erglänzt sie am Bein, er am Jackett.
Marschiert voran, Hot, Jazz und Swing.
Come on boy and girl, wir gehen zum Ding.
Zum Fest der Gerechtigkeit komm und spring.
Und tritt General HJ einst gegen uns an
Dann werden wir hotten Mann für Mann.
Der eine am Baß, der andre am Kamm.
Noch sind wir nicht viele genug.
Doch einst wird es wahr, was bisher nur Spuk.
Wir werden siegen, da gibt’s keinen Muck!“
„Swingend wollen wir marschieren in die Zwangs-HJ
Teddy Stauffer soll uns führen mit dem neuesten Hot !“
„Kurze Haare, große Ohren,
So war die HJ geboren!
Lange Haare, Tangoschritt –
Da kommt die HJ nicht mit! Oho,oho!
Und man hört’s an jeder Eck‘ –
Die HJ muß wieder weg!“
„Wir tanzen Swing bei Meier Barmbeck.
Es ist verboten. Wir hotten nach Noten.
Und kommt die Polizei, dann tanzen wir Tango.
Und ist sie wieder weg, dann swingen wir den Tiger Rag.“
Auch Goebbels betrafen mehrere Spottverse. Hier für die Repressionen verantwortlich gemacht:
„Der kleine Josef hat gesagt, ich darf nicht singen,
denn meine Band, die spielt ihm viel zu hot.
Ich darf jetzt nur noch Bauernwalzer bringen,
nach dem bekannten Wiener Walzertrott.“
[1] NS Frauenorganisationen waren etwa: der Bund deutscher Mädel (BDM), die NS-Frauenschaft (NSF), die deutsche Frauenfront (DFF), die Reichsgemeinschaft Deutscher Frauenverbände (RAG) oder das Deutsche Frauenwerk (DFW)
[2] „Sofort-Aktion gegen die Swing-Jugend“ vom 18.08.1941 (Berlin). Beginnend mit dieser Aktion (über 300 Verhaftungen) wurde ab sofort nicht mehr nur mittels Anti-Propaganda gegen die Schlurfs und Swings vorgegangen, sondern diese wurden auch strafrechtlich verfolgt.
Die darauf folgende Repressionswelle im gesamten Deutsch Reich bedingte eine deutlichere Protesthaltung und teilweise radikale Politisierung der Jugendlichen. Vereinzelt wurden antifaschistische Flugblätter verteilt. Die deutschen Swings hatten Verbindungen zur „Weißen Rose“.